MS und Vitamin D (Allgemeines)
MS und Vitamin D
Alberta ist eine Provinz von Kanada, die im Süden an den amerikanischen Bundesstaat Washington und im Norden an Alaska grenzt. Vermutlich werden Sie noch nie etwas von diesem Staat gehört haben, in den USA bzw. in Kanada selbst genießt er ein hohes Ansehen, denn es ist ein sehr wohlhabendes Land mit außerordentlich geringen Steuern. Aber Alberta hat auch einen Nachteil: Dort ist das Risiko, an MS zu erkranken, höher als irgendwo sonst auf der Welt. Es beträgt 311 pro 100.000. Zum Vergleich: Früher sagte man, in Deutschland erkrankten 150 pro 100.000 Menschen, und in Schottland seien es 200.
Das schreit nach einer Erklärung, sagt der Wohltätigkeitsverband DIRECT-MS (zu deutsch: Tu etwas gegen die MS!) und hat eine interessante Broschüre herausgebracht, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. DIRECT-MS wurde 1998 von MS-betroffenen Familien gegründet und hat zwei Ziele: Die Beschaffung verlässlicher Informationen über Ernährungsfaktoren, die bei der MS eine Rolle spielen, und die Unterstützung wissenschaftlicher Studien, welche die Wirksamkeit diätetischer Maßnahmen prüfen. Unter der Überschrift „Warum ist die MS in Alberta so häufig?“ werden mehrere Punkte aufgeführt, die für das hohe MS-Risiko von Bedeutung sein könnten:
- Die Bevölkerung von Alberta besteht überwiegend aus Menschen europäischer Herkunft, es könnte also eine genetische Disposition vorliegen.*
- Milch- und Glutenprodukte sind in Alberta wichtige Nahrungsmittel, und die Nahrung ist arm an ungesättigten Omega-3-Fettsäuren und Antioxydantien. Allerdings gilt das für ganz Kanada.
- Alberta hat eine hohe Erdölproduktion. Aber andere große ölproduzierende US-Staaten wie Texas, Louisiana und Südkalifornien habe eine niedrige MS-Prävalenz.
Die Frage bleibt: Warum ist die MS in Alberta doppelt so häufig wie in anderen Industrienationen? Für die Mitglieder von DIRECT-MS ist der Grund klar - man ist versucht, zu sagen „sonnen“klar: Die Hälfte der Bevölkerung lebt nördlich des 53. Breitengrades. Darum scheint die Sonne wenig, und das führt zu einem Vitamin D-Mangel. Deshalb empfehlen DIRECT-MS die tägliche Zufuhr von Vitamin D.
Wie viel Vitamin D müssen wir nun täglich zu uns nehmen?
Es gibt eine hartnäckige Vermutung: Wenn man von allem, was im Körper vorkommt, den Normwert und die Schwankungsbreite kennen würde, dann könnte der Mensch praktisch unbegrenzt leben, wenn man nur häufig genug kontrollieren und substituieren würde. So leicht ist es aber leider nicht. Trotzdem möchte ich näher auf Vitamin D eingehen und mir alle Mühe geben, Sie nicht zu verwirren.
Wir wissen, das Vitamin D kein richtiges Vitamin ist, weil es der Körper selbst herstellen kann. Mit Sonne geht es allerdings besser. Nur 10-20% unseres Vitamin D-Bedarfs stammt aus der Nahrung und 80-90% aus dem Sonnenlicht. Man hat ausgerechnet, wie viel Sonnenlicht täglich nötig ist, damit die Haut hinreichend Vitamin D3 (etwa 10 Mikrogramm/Tag) bilden kann: etwa 10 Minuten an einem sonnigen Sommermittag.
Im Winter soll uns das Sonnenlicht in unseren Breiten aber praktisch nichts an Vitamin D liefern. Darum wäre es denkbar, dass es sinnvoll ist, wenigstens im Winter 800 Einheiten täglich einzunehmen, wie es die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt. Üblich sind Präparate, die 500 oder 1000 Einheiten pro Tablette enthalten. Aber selbst damit würden wir immer noch niedriger als die USA liegen, in denen Milch, Orangensaft und Müsli mit Vitamin D angereichert werden.
Wann liegt ein Vitamin-D-Mangel vor?
Niemand weiß, wer es wirklich braucht, und die Einschätzungen gehen weit auseinander. Die einen sagen, mehr als die Hälfte der Deutschen leide unter einem Vitamin-D-Mangel, andere meinen, er komme kaum vor.
Und dennoch empfehlen viele Ärzte und Fachgesellschaften viel zu häufig Vitamine, wenn man sich nicht so gut fühlt: Vitamin C und Vitamin E, aber auch das „Sonnenvitamin“ Vitamin D. Niemand weiß, wer es wirklich braucht, und die Einschätzungen gehen weit auseinander. Die einen sagen, mehr als die Hälfte der Deutschen leide unter einem Vitamin-D-Mangel, andere meinen, er komme kaum vor. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hält einen Wert von mehr als 30 Nanogramm pro Milliliter Blut für optimal, und weil die Menschen in Deutschland zu wenig Sonne bekommen, sollten alle täglich 800 Einheiten einnehmen, das entspricht 2 Mikrogramm. Eines der häufigsten Präparate sind übrigens die VIGANTOLETTEN, die es mit 500 oder 1000 Einheiten gibt. Aber damit liegen wir immer noch niedriger als die USA, in denen Milch, Orangensaft und Müsli mit Vitamin D angereichert werden.
Die Medizinerin Ingrid Mühlhauser, die maßgeblich an den bereits erwähnten UKE-Richtlinien zur Therapie der MS mitgearbeitet hat (Fußnote: „Schubtherapie der Multiplen Sklerose“ und „Immuntherapien der Multiplen Sklerose) mahnt zur Sachlichkeit. Ihrer Meinung nach werde die Wirksamkeit von Vitamin D überschätzt, und sie sieht keinen Grund im Körper „herumzupfuschen“. Die Einnahme von 800 Einheiten täglich schade zwar nicht, aber der Nutzen sei äußerst fraglich.
Das Coimbra-Protokoll
Von einem Mangel spricht die DGE wenn der 25-OH-Vitamin-D-Wert unter 30nmol pro Liter Serum liegt. Aber gerade MS-Patienten, die ja wissen, dass die MS dort besonders häufig ist, wo die Sonne wenig scheint, und am Äquator besonders selten, sind besonders anfällig für die Legende vom Wundermittel Vitamin D. Das hat sich in letzter Zeit auch ein Arzt aus Brasilien, Cicero Coimbra, zu Nutzen gemacht. Er behauptet viele Menschen hätten eine ererbte Resistenz bei der Vitamin-D-Verwertung, den man anhand einer Parathormon-Bestimmung entdecken könnte und empfiehlt irrsinnig hohe Dosen von Vitamin D, die ich kaum glauben kann, aber zwischen 30.000 bis 100.000 Einheiten pro Tag liegen sollen.
Die vielen Studien, die umhergeistern, sind umstritten. In der TIMS 2017 wird von Christiane Jung über die SOLAR-Studie (2016) berichtet, die allen wissenschaftlichen Anforderungen genügt und der Frage nachgeht, ob die tägliche Einnahme von Vitamin D die Schubfrequenz der MS senkt bzw. das Fortschreiten verhindert.
Es handelte sich um eine randomisierte Doppelblindstudie. In der Verumgruppe erhielten die Patienten 6.670 Einheiten pro Tag in den ersten vier Wochen und später 14.007 Einheiten täglich über 44 Wochen. In die Studie aufgenommen wurden nur Patienten mit einer schubförmigen MS, die einen 25-(OH)D-Spiegel unter 120nmol/l aufwiesen.
Wie sie schreibt, wurden die Ergebnisse bisher in keiner Fachzeitschrift veröffentlicht. So ist man auf die Rohdaten der öffentlichen Datenbanken angewiesen. Der Prozentsatz von Patienten, die über 48 Wochen schubfrei geblieben waren, lagen mit Vitamin D bei 78,8% und bei 75% ohne Vitamin D. Das heßt, es waren 24 von 113 Patienten, die Vitamin D erhielten, schubfrei geblieben, und 29 von 116 Patienten, die das Placebo erhielten.
Der Prozentsatz von Patienten, die nach 48 Wochen keine Verschlechterung des EDSS erlitten hatten, lag bei 71,7% mit Vitamin D und 75,0% ohne Vitamin D.
---
Das ist in etwa das, was ich schreiben möchte. Trete ich damit jemandem auf die Zehen? Oder stimmen die Daten nicht?
Man merkt, wie schwer mir solche Texte fallen.
W.W.