Entna*ifizierung meiner Mutter (Allgemeines)

jerry, (vor 3443 Tagen) @ W.W.


...Sie waren alle wahnsinnig! Ich fürchte, sie waren beides nicht. Auch M.-O. Bruker nicht. Aber damit will ich seine Haltung keineswegs rechtfertigen.

Hallo,
bis eben haben Sie von Bruker noch gesagt, Ich habe ihn immer für einen ehrenwerten Mann gehalten. Ich kann und will das nicht anders sagen. Ich muss es sogar tun. Dies ließ mich aufbegehren: Nach heutigem Wissensstand sollten Sie dies nicht mehr 'tun müssen'.


Der Gedanke, der mich seit längerem bewegt und nichts mit der MS zu tun hat, ist: Vielleicht haben die Alliierten die Deutschen gründlich entna*ifiziert und unsere Großeltern und Eltern zu Duckmäusern gemacht, zu Menschen, die alles, was die Na*is getan haben, ablehnen mussten. Aber damit haftete ihnen auch etwas Unaufrichtiges an.

Meine Mutter - Jg.1925 - war zum Zeitpunkt der Machtergreifung acht Jahre alt. Die Mitgliedschaft im BDM (Bund deutscher Mädel, der 'Hitlerjugend weiblicher Anteil') war seit 1936 verpflichtend ..., dies also seit sie elf Jahre alt war.

Die weibliche Gemeinschaft mit ihrer Lagerfeuerromantik, Naturverbundenheit, Singen, Tanzen (!) etc. war 'ihr Ding', sie hatte organisatorisches Talent und Gruppenleiterqualitäten und brachte es bald bis zur 'Scharführerin'.

Zugleich war sie im katholischen Glauben tief verwurzelt, hilfsbereit, 'moralisch'... Nach fremdbestätigten Erzählungen war sie mit ihrer Mädelstruppe mal im Hauptbahnhof ihrer Heimatstadt unterwegs, als dort vorübergehend ein Güterzug hielt, durch dessen Bretterverschalung dürstende Menschen um Wasser bettelten.

Meine Mutter veranlasste ihre Mädels daraufhin, jenen 'notleidenden' Menschen aus mitgeführten Thermosflaschen etc zu trinken abzugeben und Wasser nachzuholen - woraufhin sie und die Mädels von Bewaffneten rüde zurückgestoßen wurden: dies sei nix für sie und sie sollten besser einen Abgang machen.

Auch in der Reichspogromnacht hatte sie am Fenster gestanden und gesehen, wie jüdische Nachbarn durch die Straßen getrieben wurden. Die Großmutter zog sie weg mit etwa den Worten, was da geschehe sei furchtbar und man gucke besser nicht hin.

Kurz vor Kriegsende hatte sie auf Gymnasiallehrerin zu studieren begonnen: Im Zuge der Entnaz*fizierung sah sie nicht nur - erstmals - die Filme mit Originalaufnahmen aus Vernichtungslagern, sondern man schränkte ihr Studienziel ein auf 'technische Lehrerin' für Sport, Hauswirtschaftslehre und Handarbeit. Wegen ihrer 'leitenden' Rolle im 1000jährigen Reich...

Es dürfte ihr vor Scham und Trauer beinahe das Rückgrat gebrochen haben, an was sie 'wegschauend' beteiligt gewesen;
ihr berufliches und privates Leben stand von vornherein unter einem strafbegrenzenden Einfluss;
wenn sie (die sie später 'emanzipierte Frau' war mit ablehnender Einstellung zur Koedukation beider Geschlechter: weil das roh Männliche der freien Entwicklung von Mädchen /jungen Frauen im Wege stehe...!) von der BDM-Romantik zu schwärmen begann, bekam sie unmittelbar heftige Widerrede von uns, ihren Söhnen, die auf die zeitgleichen Na*iverbrechen gegen die Menschlichkeit aufmerksam machten, und die Zusammenhänge des Einen mitdem Anderen...

Wieviel Chancen hätte sie wohl gehabt, sich aus dem 3. Reich herauszuhalten oder gar in Opposition zu gehen? Ich mag das nicht beurteilen.


flowers jerry

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