Über eine heilige Kuh (Allgemeines)

Marc @, Donnerstag, 06.06.2019, 14:22 (vor 1776 Tagen) @ W.W.

Geht es ihnen hier um einen Rundumschlag auf alles zur MS oder nur um die Nutzung von Cortison zur Schubbehandlung im Speziellen?

Wir scheinen sehr wenig über die MS zu wissen.:-( Gibt es Dinge bei der MS, die so unzweifelhaft feststehen, wie dass die MS in Schüben verläuft?

Eigentlich schon..

Nein, denn schon gleich kommt der Einwand, dass das ja wegen der primär progredienten MS (PPMS) auch nicht so ganz sicher sei, obwohl es Stimmen gibt, die behaupten, auch die PPMS verlaufe vermutlich in Schüben, die man aber übersehen habe.

Sowohl als auch. Unter diesem Krankheitsbild liegen bis zu einem halben Duzend unterschiedlicher pathogener Prozesse die wahlweise zusammen oder einzeln stattfinden und dazu jeweils in unterschiedlicher Heftigkeit.

Sie sehen: Noch nicht einmal das Schubförmige der MS gilt als sicher. Und auch nicht, dass es sich um eine Entzündungskrankheit handelt! Manche sagen, die Entzündungszeichen erweckten einen falschen Eindruck. Sie seien sekundär. Primär sei ein Gewebeuntergang wie übrigens auch beim Hirninfarkt, die Lymphozyten seien also Zellen, die das untergegangene Gewebe wegräumen und lange Zeit als Entzündungszellen verkannt worden seien.

Nochmal: Unter diesem Krankheitsbild liegen bis zu einem halben Duzend unterschiedlicher pathogener Prozesse die wahlweise zusammen oder einzeln stattfinden und dazu jeweils in unterschiedlicher Heftigkeit.

Bei progredienten Verläufen liegt der Krankheitschwerpunkt im Untergang der Stoffwechselprozesse in den Oligodendrozyten, einer überdurchschnittlich hohen Atrophie des ZNS sowie in "selbstständiger" - also ohne Entzündungen stattfindender - Zerstörungsaktivität durch Makrophagen. Will heißen, nach Diagnose verfügt der Körper über mehrere Prozesse, das ZNS zu zerstören, ohne, dass Lymphozyten präsent sein müssen.

Bleibt also die Annahme, dass die MS eine Krankheit des ZNS sei. Davon kenne ich wirklich keine Ausnahme - mit der einzigen Einschränkung, dass die Trigeminusneuralgie als MS-Symptom eine merkwürdige Rolle spielt.

Da die Symptome normalerweise mit einer Zerstörung des ZNS einhergehen wird diese Annahme wohl auch stimmen :-)

ES ist also schwierig, etwas Gesichertes über die MS zu sagen und das 150 Jahre nach ihrer Erstbeschreibung. Aber vielleicht können wir uns ja doch auf eine zweite Aussage einigen: Cortison hat keinen Einfluss auf den Verlauf der MS!

Vielleicht im Allgemeinen aber Pauschal sicherlich nicht.

Auch hier muss man wieder differenzieren. Besser müsste man sagen: Cortison hat keinen Einfluss auf den Langzeitverlauf der MS. Denn es kann schon zu einer Verkürzung des Schubes führen oder zu einem Wiederaufflackern, wenn man zu früh absetzt. Aber für den Langzeitverlauf ist es egal, ob sie jeden Schub mit Cortison behandeln oder mit Aloe vera: Das Endergebnis ist dasselbe!

Definieren sie doch zunächst "Endergebnis". Wenn ein Patient auch nur einmal eine schnellere Symptomlinderung durch Cortisongabe erfährt, dann ist das bereits ein besseres "Ergebnis" als das was man jemals mit Aloe Vera erreichen könnte. Wenn sie nun wiederum mögliche Nebenwirkungen in ihre Bewertung ziehen, dann könnte sich ggf. ein nuanzierteres Bild ergeben.

Es bestehen auch Studien, die aufweisen, dass überwiegend jüngere Patienten mit entsprechend höheren neuronalen Reservekapazitäten überpropotional von Cortisongaben zur Verkürzung von Schubsymptomen profitieren.

Pauschale Bewertungen helfen ihnen nur um hier ein rhetorisches Argument zu erzeugen aber nicht um die Realität zu beschreiben.

Und es ist auch egal, ob man Cortison infundiert oder oral gibt!

Wenn das also so ist, warum behandelt man dann nahezu reflexhaft jeden MS-Schub mit Cortison? Und zwar mit unglaublich hohen Dosen? Gibt es keine Ärzte, die schreien: "Stoppt diesen Wahnsinn!"?

Dazu hatte ich bereits woanders geschrieben.

PPS: Gibt es eigentlich im Ärztlichen Beirat der DMSG Ärzte, die den Nutzen von Cortison im MS-Schub öffentlich in Frage stellen? Oder ist das eine heilige Kuh? Anders gefragt: Wie würde sich ein Neurologe in der Praxis oder in der Klinik verhalten, wenn ein Patient eine Cortisonbehandlung im frischen Schub ablehnt? Würde er mit dem Kopf schütteln? Oder sagen: "Sicherheitshalber sollten wir es doch tun!" Und würden nicht auch die Betroffenen denken: "So viele MS-Experten können sich doch nicht irren?!"

Wohl eine Mischung aus Verschiedenem. Bei der Empfehlung für/gegen eine Gabe von Kortison zur Schubbehandlung sollte jeder Neurologe aber sicherlich zumindest das Alter und den Zustqand des Patienten in Betracht ziehen..

Tags:
Kortison


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