Tante Brigitte (Straßencafé)

Boggy, (vor 30 Tagen)

Diese Zeiten sind in vieler Hinsicht äußerst beunruhigend bis beängstigend. Die Fülle von schlechten Nachrichten fast jeden Tag kann gesundheitsschädlich sein. Ich glaube, achtsam sein in bezug darauf, was wir näher an uns heranlassen, wem oder was wir erlauben, uns zu berühren und stärkere Wirkungen in uns zu hinterlassen, ist eine wichtige Maßnahme, um uns zu schützen und heil zu erhalten.
Das muß ich eigentlich hier gar nicht sagen.
Ich nehme es auch nur als Einleitung.

Achtsamkeitsübungen, Meditationspraxis kann hilfreich sein. Oft hören wir da das Schlagwort vom "Hier und Jetzt", bei dem es leider Mißverständnisse gibt.
Also komme ich zu Tante Brigitte, die mir zufällig über den Weg lief, und die mich damit überraschte.
=>
https://www.brigitte.de/liebe/persoenlichkeit/achtsamkeit--koennen-wir-ueberhaupt--im-h...

Da heißt es u.a.: "Viele Praktiken für eine gesunde Psyche, ja, die gesamte Achtsamkeitslehre, bauen darauf auf, dass wir versuchen, möglichst viel Zeit 'im Hier und Jetzt' zu verbringen, im 'gegenwärtigen Moment' ". Mhmm, nein nicht ganz so: "Zeit verbringen", das ist mißverständlich. Und wenn das so gelehrt wird, ist es ebenfalls mißverständlich.
Dann folgt in dem Artikel:
"Eine Neurowissenschaftlerin erklärt, warum unser Gehirn dazu eigentlich gar nicht in der Lage ist." Sie sagt weiter: "Die Hirnforscherin erklärt nämlich im 'mindbodygreen'-Podcast, dass es streng genommen für unser Gehirn gar nicht möglich ist, im 'Hier und Jetzt' zu verweilen."

Das ist soweit zunächst einmal auch richtig. Der gegenwärtige Augenblick - dieses JETZT - ist nicht faßbar. Schon der nächste Augenblick ist strenggenommen "Zukunft" und der vorangegangene Augenblick ist schon Vergangenheit.

"Wir verbringen zwischen der Hälfte und drei Vierteln unseres Tages damit, in unseren Gedanken zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft hin- und herzuwandern". Ja, das ist Alltags"geist", Alltagsbewußtsein. Wenn es dabei darum geht, Probleme zu lösen, Fragen zu klären, ist das ja auch richtig. Leidvoll kann es werden, wenn wir uns darin verstricken, verlieren. Nur sollten wir auseinanderhalten: Meditation ist Meditationspraxis, keine Übung des Problemlösens. Wenn wir Probleme lösen wollen, dann sollten wir uns mit den Problemen beschäftigen. Das können wir im Idealfall auch mit einem wachen, achtsamen Meditations"bewußtsein" tun.

In der Meditation im "Hier und Jetzt" zu verweilen, bedeutet sinnnvoller Weise, so wie es u.a. im Zen erklärt wird: Wenn in der Meditation etwas in meinem Bewußtsein auftaucht, das zu Vergangenheit gehört, dann nehme ich das einfach bewußt zur Kenntnis: Dies JETZT sind Vergangenheitsgedanken. Ebenso mit der Zuknft. Alle Gedanken, Bilder usw. sind Erscheinungen in meinem Bewußtsein, hier und jetzt, und ich schaue sie, in dem ich "in mir selbt" sozusagen einen Schritt zurücktrete. Das kann ich tun, indem ich zum bewußten Atmen zurückkehre.

Thich Nhat Hanh beschreibt das so:

"Gefühle (und Gedanken) kommen und gehen
wie Wolken am Himmel an einem windigen Tag.
Bewußtes Atmen
ist mein Anker."

Shunryu Suzuki-Roshi dazu:
"Gemütsruhe liegt jenseits des Endes der Ausatmung. Wenn ihr also sanft ausatmet, ohne daß ihr auszuatmen versucht, dann tretet ihr in die vollständige, vollkommene Ruhe eures Geistes ein."

Meine Gemütsruhe zu bewahren oder möglichst schnell wieder herzustellen, fällt mir in diesen gefährlichen Zeiten oft schwer. Wie gehe ich als alter und krankheitsgeschwächter Mann mit alldem um, was aus der Welt und meinem persönlichen Leben beunruhigend auf mich einwirkt?
Meine Meditationspraxis ist tatsächlich oft ein Anker. Möge die Kette nicht reißen.

Allen ein wohltuendes Wochenende!
Boggy
flowers

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Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.


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