Wie ist es, wenn bei jemandem eine MS diagnostiziert wird? (Allgemeines)

Michael27, (vor 3274 Tagen) @ W.W.

Lieber Wolfgang Weihe,

bei mir war es gerade andersherum. Bei mir hat der zweite Neurologe die MS diagnostiziert. Der erste kam nicht damit klar, dass ich periphere und zentrale Symptome (was das Nervensystem angeht) hatte. Im Endeffekt war es dann ganz einfach: die peripheren kamen von einem Vitamin-B12-Mangel, die zentralen von der MS. Der erste Neurologe hat nach mehreren Jahren aufgegeben ("Sie haben eindeutig eine neurologische Erkrankung - wahrscheinlich ist es entweder eine sehr seltene oder eine noch nicht entdeckte/identifizierte/beschriebene; Parkinson, MS, usw. kann ich auf alle Fälle ausschließen"). Er war empathisch, wirkte (und gilt auch als) professionell und war mir daher eigentlich sehr sympathisch. Im nachhinein muss ich sagen, dass er bzgl. der Diagnose einfach mehrere grobe Fehler gemacht hat. Der gröbste war, dass er zwar MRTs in Auftrag gegeben hat, sich aber offensichtlich auf die Aussagen des Radiologen verlassen hat ("keine Auffälligkeiten"). Letzterer, also der Radiologe, hat die MRTs (Gehirn, Hals, Brust, Lende im Lauf von mehreren Monaten) als Ausdrucke (also nicht elektronisch !) mit mir angeschaut. Auf den Ausdrucken war nichts zu erkennen, auf den elektronischen Bildern sehr wohl.

Meine Frau hat dann von Freunden einen zweiten Neurologen empfohlen bekommen. Ich wollte erst nicht, weil mir der erste absolut kompetent erschien. Der zweite war dann ein richtig guter Diagnostiker ("alter Hase"), der gleich meinte "wenn Sie periphere und zentrale Einschränkungen haben, dann haben Sie wahrscheinlich mindestens zwei Probleme". Dann habe ich zunächst Vitamin B12 subkutan gespritzt, später (auch heute noch) nehme ich es als Lutschtabletten (Aufnahme über die Mundschleimhaut): Vitamin-B12-Problem gelöst.

Dann hat er sich die alten MRTs elektronisch angeschaut (ich habe die CD von 2010 geholt - ich wusste damals gar nicht, dass man eine entsprechende CD bekommen kann). Er hat die Läsionen gesehen und daraufhin eine Lumbal-Punktion gemacht (--> oligoklonale Banden). Daraufhin noch mal MRTs, jetzt in der Uniklinik Heidelberg.

Dann der Termin beim Neurologen (sorry, jetzt bin ich beim Thema, alles vorher war "Einleitung"):

Es war eine sehr skurrile Situation. Er war ziemlich betroffen und geschockt (obwohl er das Ergebnis ja schon mehrere Tage hatte). Er sagte mir nur "Sie haben MS, und zwar PPMS. Das ist so ziemlich das Schlechteste, was rauskommen konnte ... und ich kann Ihnen nicht helfen: da gibt es bisher kein Medikament dagegen". Ich selbst war ziemlich erleichtert. Die Probleme/Einschränkungen hatte ich ja schon mehrere Jahre mit zunehmender Tendenz. Jetzt hatte "das Kind" endlich einen Namen und ich konnte damit umgehen, bzw. dagegen angehen. Ich habe meinen Neurologen getröstet und ihm Mut gemacht (es war wirklich so !!!) und habe mich zuhause sofort an den PC gesetzt und alles zu MS recherchiert. Ich habe viel gelesen (u.a. natürlich "Was Sie schon immer über die MS wissen wollten"), viel ausprobiert - und dieser Weg geht sicher bis an mein Lebensende so weiter.

Ich habe - auch dank vieler toller Tipps - so manches gefunden, was mir geholfen hat (Symptom-Linderung, bzw. -Verbesserung). Inzwischen bin ich bei einem dritten Neurologen. Mein zweiter Neurologe läßt es mit Mitte/Ende 60 in einer Privatpraxis so langsam auslaufen und wollte mich nach der Diagnose nicht mehr als Dauer-Patienten annehmen. Dieser dritte Neurologe gefällt mir auch gut. Er hat anscheinend ziemlich Respekt vor mir ("besser als Sie es machen, geht es nicht") und wir sehen uns zweimal im Jahr zum gegenseitigen Austausch aktueller Informationen (ich mit meinem aktuellen Befinden und Fragen z.B. zu hochdosiertem Biotin, er mit seinen oder allgemein-neurologischen neuesten Erkenntnissen) und einer kurzen Untersuchung.

Also noch mal zusammengefasst "zum Thema":
Für mich war es eine Erleichterung, für den Neurologen ein Schock. Eigentlich war von daher das Diagnose-Gespräch eine Katastrophe. Ich möchte nicht wissen, wie jemand als Patient damit umgegangen wäre, der selbst ziemlich fertig gewesen wäre. Der Neurologe hat nichts zur DMSG oder zu Selbsthilfegruppen gesagt, nichts zu Physiotherapie, Feldenkrais o.ä., nichts zu Bewegung, nichts zu Ernährung, nichts zu Informationsquellen (Bücher, Foren im Internet, etc.), nichts zum Schwerbehinderten-Ausweis, nichts zu Reha-Möglichkeiten, nichts zu steuerlichen und sonstigen Vergünstigungen (ÖPNV, PKW-Steuer) - einfach nichts.

Viele Grüße

Michael

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