Zärtlichkeit (Allgemeines)
Das Bedürfnis nach sinnlichem Vergnügen, Zärtlichkeit und sexueller Erregung, es mag in unterschiedlichen Menschen sehr verschiedene Ausprägungen haben, vielfältig, facettenreich, und während meiner nun sechzehnjährigen Begleitung durch die MS habe ich dabei deutliche Veränderungen bemerkt, die mein Leben insgesamt wohl nicht unerheblich verändert haben.
Sensibilitätsstörungen, diverse andere körperliche Frustrationen haben meinen eigenen Zugang zu meinem eigenen Leib umgestaltet und beständig neu geregelt, wie sich parallel auch meine Weltbeziehung per se zumindest in Teilbereichen immer wieder mal umsortiert, ergänzt, bewegt.
Dies ist mein Leben und ich habe nur dieses.
Neben dem Umgang mit aggressiven Impulsen (siehe Aggression und Lebensfreude) mag entsprechend also auch ein liebevoller respektive zärtlicher Umgang mit sich und anderen auch hier ganz unterschiedlich bewertet und ausgestaltet werden, und neben notwendiger Kritik, Auseinandersetzungen und Streit dürfen auch Lob, Wertschätzung und Solidarität geliebt und gelebt werden.
Und ist nicht gerade hier quasi jeder meiner Beiträge immer zumindest auch ein Rufen nach Kontakt, Verständnis, Nähe und Zärtlichkeit?!
Ein Versuch, zu mir selbst, zu weiteren Aspekten und Anteilen von mir und anderen Kontakt aufzunehmen, und wenn ich mich ans Schreiben mache, dann habe ich meist zu Beginn allenfalls eine vage Ahnung davon, was am Ende dann entstanden ist, was an Reaktion noch kommt.
Wie einsam oder eingebunden Menschen auch sein mögen:
Wir alle pendeln wohl beständig mehr oder weniger stark hin und her zwischen aggressiven und zärtlichen Wünschen und Impulsen. Mal heftiger, mal schneller - mal lebendiger und intensiver - Staunen ist erlaubt, und sowohl das eine wie das andere mag geliebt oder verachtet, verdrängt oder überbetont sein, verdammt, gehasst, vergöttert sein - es ist menschlich, und weil ich meiner MS in ihrer Zerstörungswut nicht noch zusätzlich Erfolge gönnen möchte, versuche ich zumindest anzuschreiben, gegen eine Hemmung meiner aggressiver und zärtlicher Impulse.
Die Überlastungsthese, MS hätte einen psychosomatischen Anteil was Entstehung oder Progression angeht, wir würden uns emotional gar überlasten und überfordern - ist insofern pures Gift und lebensfeindlich, weil sie uns hier zu begrenzen trachtet, die Gefahr der Intensivität beschwört, zur Einschränkung mahnt. Zumal auch nichts für eine schädliche Überlastungsthese bei MS spricht (ganz grundsätzlich sollte sich wohl niemand dauerhaft überlasten), außer dem überzogen omnipotenten Wunsch, Kontrolle über etwas vorgaukeln zu wollen, wo wir aktuell eben ohnmächtig sind, herausgefordert uns mit Aggression und Zärtlichkeit (A&Z) möglichst intensiv und neugierig, lebensfroh und lebendig, neugierig, offen den Herausforderungen zu stellen.
Wenn lebensfeindliche Priester, enttäuschte oder paranoide alte Menschen vor Überlastung warnen, zur besonderen Mäßigung raten, den Teufel an die Wand malen und mit ihren Ideen von Ursache und Kontrolle Labsal für die Angst vor Schüben und Progression versprechen, dann ist höchste Vorsicht geboten, weil Zärtlichkeit ist nicht übertriebene Schonung und ohne Aggression keine Lebensfreude und keine Lebendigkeit - ich will leben von A bis Z.

--
Alles was lebt ist heilig.
