Gedanken von Michel Brahic (Allgemeines)

Michael27 @, Montag, 07.02.2022, 13:02 (vor 806 Tagen)

Tournesol hat mich und uns dankenswerterweise auf Michel Brahic und seinen Kommentar zur Harvard-Studie aufmerksam gemacht.

Sie hat mir dann auch noch ermöglicht, einen anderen Artikel von Michel Brahic aus 2010 zu lesen: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1002/ana.22057
Es ist ein "Point of view" aus den "Annals of Neurology" vom Juli 2010.

Vielleicht noch kurz zu Michel Brahic. Er war von 1983 bis 2006 Professor für Virologie am Institut Pasteur in Paris. Dann war er von 2007 bis 2013 "consulting professor" am "Department of microbiology and immunology" in Stanford (Kalifornien). Und seit 2013 ist er schließlich ebenfalls "consulting professor" am "Department of genetics" in Stanford.

Ich finde den ganzen Artikel höchst eindrucksvoll. Aus rechtlichen Gründen (er ist nach wie vor kostenpflichtig) kann ich ihn weder auf englisch noch auf deutsch komplett hier einstellen. Ich habe ihn für mich mit der kostenlosen Version von deepl.com übersetzt und die Übersetzung dann noch nachgebessert. Einzelne Sätze glaube ich legal hier wiedergeben zu können und tue dies hiermit. Diese übersetzten Originalsätze kennzeichne ich blau und kursiv. Und nochmal der Hinweis: der Text stammt aus 2010, ist also fast 12 Jahre alt !

Lange Zeit wurde MS von Immunologen als Autoimmunerkrankung und von Virologen als wahrscheinliche Infektionskrankheit angesehen, wobei man davon ausging, dass sich die beiden Ansichten gegenseitig ausschlossen. Obwohl er zugab, dass er übertrieben hatte, schrieb Rolf Zinkernagel einmal: "Wenn wir die Infektion kennen, nennen wir die Krankheit immunopathologisch vermittelt; wenn wir sie nicht erkennen, nennen wir die Krankheit autoimmun". Glücklicherweise haben sich die Dinge geändert, und jetzt wissen wir, dass Viren oder Infektionserreger im Allgemeinen sowohl vor Autoimmunität schützen als auch Autoimmunität auslösen können.

Rolf Zinkernagel ist ein schweizer Virologe und Medizin-Nobelpreisträger 1996. Über seinen Satz könnte die DMSG mal nachdenken ...

Daher sind die Beziehungen zwischen Infektionserregern und Autoimmunität komplex und weit davon entfernt, verstanden zu werden.

...

Das Feld entwickelt sich jedoch schnell, und das Konzept, dass sich das menschliche Virom, ein Teil unseres Metagenoms, in einem dynamischen Gleichgewicht mit unserem Immunsystem befindet, wurde kürzlich diskutiert. Eine metagenomische Analyse der viralen Sequenzen im Nervensystem und dem Immunsystem des Menschen würde unschätzbare Informationen für den MS-Bereich liefern.

...

Schließlich werden Viren normalerweise als Krankheitserreger betrachtet. Wir beginnen, Viren, die klinisch stille Infektionen verursachen, als Kommensalen zu bezeichnen. Der Gedanke, dass einige dieser Infektionen für den Wirt, insbesondere für den Menschen, von Nutzen sein könnten, wird jedoch kaum in Betracht gezogen.


Anmerkung:
Ein Kommensale ist - im Gegensatz zum Parasiten - ein Lebewesen, das sich von den Nahrungsrückständen eines Wirtsorganismus ernährt, ohne ihn zu schädigen.

...

Könnte die latente Infektion von Gedächtnis-B-Zellen durch EBV uns helfen, ein umfangreiches B-Zell-Repertoire gegen gefährliche Erreger aufzubauen und zu erhalten? Wenn dies der Fall wäre, würden einige Fälle von Mononukleose, Burkitt-Lymphom und möglicherweise MS angesichts eines solchen selektiven Vorteils evolutionär irrelevant.

Anmerkung:
Bitte die letzten beiden Sätze ganz langsam oder mehrmals lesen, um die Tragweite zu erfassen. Das würde bedeuten, der Nutzen von EBV für uns Menschen wäre viel größer als der potentielle Schaden !

Anhaltende Virusinfektionen scheinen sehr häufig zu sein und werden zweifellos viele noch nicht identifizierte menschliche Viren betreffen. Dieses Virom steht in einem dynamischen Gleichgewicht mit dem Immunsystem, ein Gleichgewicht, das durch eine große Anzahl genetischer und epigenetischer Variationen beeinflusst wird. Infolgedessen trägt unser Virom höchstwahrscheinlich dazu bei, uns sowohl vor Autoimmunität zu schützen als auch diese auszulösen.

Mikrobielle Metagenomik und die Genetik und Epigenetik komplexer Merkmale sind schnell voranschreitende Bereiche. Es bleibt zu hoffen, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft den Zusammenhang zwischen Viren und MS aufklären werden.

Michael

Gedanken von Michel Brahic

W.W. @, Montag, 07.02.2022, 13:21 (vor 806 Tagen) @ Michael27

Könnte die latente Infektion von Gedächtnis-B-Zellen durch EBV uns helfen, ein umfangreiches B-Zell-Repertoire gegen gefährliche Erreger aufzubauen und zu erhalten? Wenn dies der Fall wäre, würden einige Fälle von Mononukleose, Burkitt-Lymphom und möglicherweise MS angesichts eines solchen selektiven Vorteils evolutionär irrelevant.
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Anmerkung:
Bitte die letzten beiden Sätze ganz langsam oder mehrmals lesen, um die Tragweite zu erfassen. Das würde bedeuten, der Nutzen von EBV für uns Menschen wäre viel größer als der potentielle Schaden !

Anhaltende Virusinfektionen scheinen sehr häufig zu sein und werden zweifellos viele noch nicht identifizierte menschliche Viren betreffen. Dieses Virom steht in einem dynamischen Gleichgewicht mit dem Immunsystem, ein Gleichgewicht, das durch eine große Anzahl genetischer und epigenetischer Variationen beeinflusst wird. Infolgedessen trägt unser Virom höchstwahrscheinlich dazu bei, uns sowohl vor Autoimmunität zu schützen als auch diese auszulösen.

Mikrobielle Metagenomik und die Genetik und Epigenetik komplexer Merkmale sind schnell voranschreitende Bereiche. Es bleibt zu hoffen, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft den Zusammenhang zwischen Viren und MS aufklären werden.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Mühe.:-) Ich finde, Sie haben Recht. Wir(?!) wissen zu wenig, und neigen dazu, uns auf das wenige, was wir wissen, einen Reim zu machen. Es könnte sein, dass wir einen Assuan-Staudamm bauen und dann beklagen, dass er das ganze Leben am Nil in Unordnung gebracht hat.

Auf die MS bezogen: Viren müssen durchaus nicht unbedingt etwas sein, was uns schädigen will, sie können auch als 'Kommersalen' für uns wichtig sein - wie Darmerreger für uns wichtig sind. Und könnte es nicht sein, dass wir das EBV eliminieren - und dann, wenn wir ohne das EBV dastehen, dass uns dann unserem Immunsystem Wesentliches fehlt, wozu das EBV beigetragen hat?

Wolfgang

PS: Wir denken zu einfach und verwechseln das einfache Denken mit Logik.

Gedanken von Michel Brahic

Boggy, Montag, 07.02.2022, 14:20 (vor 806 Tagen) @ Michael27

Rolf Zinkernagel ist ein schweizer Virologe und Medizin-Nobelpreisträger 1996. Über seinen Satz könnte die DMSG mal nachdenken ...

Daher sind die Beziehungen zwischen Infektionserregern und Autoimmunität komplex und weit davon entfernt, verstanden zu werden.


Danke fürs hier posten!
:-)

Wie bereits erwähnt, finde ich, daß sehr viele Leute darüber nachdenken sollten und könnten.

Gruß
Boggy

--
Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.

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