32-faches Risiko - fragwürdig? (Allgemeines)

Michael27 @, Sonntag, 10.04.2022, 12:50 (vor 718 Tagen) @ Boggy

Um es nochmal zu formulieren:
Kann man aus der Harvard-Studie allgemeingültig ableiten, daß nach einer EBV-Infektion ein 32-faches Risiko, an MS zu erkranken, besteht?
Oder ist es nicht eher so, daß eine seriöse Aussage so lauten müßte: für die Harvard-Studie und deren Teilnehmer gilt, daß nach einer EBV-Infektion ein 32-faches Risiko, an MS zu erkranken, besteht. Also NUR auf die Studie bezogen!

Wie läßt sich eine Verallgemeinerung rechtfertigen, begründen?

Erst einmal hast du recht. Das ist das Ergebnis einer einzigen Auswertung - aber mit 10 Millionen Personen. Da gibt es halt selbst bei 10 Millionen nur relativ wenige, die EBV-negativ sind und noch weniger, die zunächst EBV-negativ sind und später MS-positiv. Das liegt in der Natur der Sache. Bessere/aussagekräftigere Zahlen mit mehr Personen wird man nicht kriegen.

Die Frage ist: was kann man daraus allgemeingültig ableiten ? Ich versuche mal, das mit einem konkreten Beispiel zu veranschaulichen. Wenn du einen Würfel hast und mit dem 200mal würfelst, kommen - wenn du "das Experiment" oft genug wiederholst - im langfristigen Mittel ungefähr 33 Einsen, 33 Zweien, usw. raus.
Jetzt kommt bei dir aber bei 200 Würfen eine einzige 6 vor. Also ich würde daraus schließen, dass dieser Würfel mit sehr sehr hoher Wahrscheinlichkeit "gezinkt", also manipuliert ist. 1 Sechser statt etwa 33 Sechser - das gibt es normalerweise nicht. Leider kannst du das Experiment mit diesem Würfel nicht wiederholen. Ist deine Konsequenz, dass halt dieses eine spezielle Mal ein sehr ungewöhnliches Ergebnis rausgekommen ist (nur 1 Sechser statt erwarteter etwa 33 Sechser) - oder hast du Zweifel an der Beschaffenheit des Würfels ?

Wenn jeder EBV-Infizierte ein 32-faches Risiko, an MS zu erkranken besitzt, wieso gibt es diese riesige Diskrepanz zwischen EBV-Infizierten (fast die Gesamtbevölkerung) und "nur" rund 250.000 an MS Erkrankten?

Jetzt wirst du schwammig/unpräzise: Nicht jeder EBV-Infizierte hat ein 32fach erhöhtes Risiko, an MS zu erkranken. Aber jeder MS-Kranke hat ein 32fach erhöhtes Risiko, vorher eine EBV-Infektion durchgemacht zu haben. Das ist ein Unterschied.

Die dann folgende Erklärung mit den weiteren "Faktoren", die hinzukommen müssen, ist für mich nicht schlüssig, außer man argumentiert in folgender Weise: diese "Zusatzfaktoren", zusätzlichen Bedingungen, die die MS entstehen lassen, heben das 32-fache Risiko wieder zum Teil auf, und verringern es.

Nein, auch da muss ich dir leider widersprechen. Es gibt keinen zwingenden Automatismus, der zu einer MS-Erkrankung führt. Es gibt Risikofaktoren und es gibt - mit hoher Wahrscheinlichkeit - notwendige Voraussetzungen. Vitamin-D-Mangel, starkes Rauchen, bestimmte Ernährungsformen usw. sind Risikofaktoren - aber wenn du nicht auch bestimmte genetische Voraussetzungen erfüllst (bestimmte Genvarianten-Kombinationen) und wenn du keine EBV-Infektion durchgemacht hast (so jetzt zumindest mal die Hypothese), kann dir bzgl. MS nichts passieren. Du kannst alle möglichen gesundheitlichen Probleme bekommen - aber keine MS.

Bzgl. der Genvarianten scheint es jetzt doch ziemlich schwierig zu sein, voranzukommen. Man hat zwar etwa 200 Gene und bestimmte Varianten davon "eingekreist". Aber es gibt natürlich unglaublich viele Kombinationen von mehreren dieser 200 vermutlich betroffenen/relevanten Genvarianten - und eine allein reicht offensichtlich nicht. "Spezielle Genvarianten-Kombinationen" sind notwendige Voraussetzung, aber welche ??? Da ist "EBV ja oder nein" natürlich viel plakativer und auch besser zu adressieren.

Ich hoffe, ich habe zumindest klar machen können, wie ich das sehe. Ich will nicht ausschließen, dass man das auch anders sehen kann (auch wenn ich es mir nicht so recht vorstellen kann). Dann würde ich es aber gern hier diskutieren.

Michael

P.S.:
Bevor mir ein Wahrscheinlichkeits-Theoretiker (den es aber hier vermutlich unter uns nicht gibt) in die Parade fährt und mir vorhält, dass mein Würfel-Beispiel übertrieben ist, da die Wahrscheinlichkeit, nur 1 Sechser statt 33 Sechser zu würfeln, um deutlich mehr als das 32fache geringer ist: Ja, das ist mir klar. Aber ich wollte hier keinen mathematischen Beweis liefern, sondern eine Veranschaulichung. Vergleichbare Wahrscheinlichkeiten hätten wir vielleicht bei 1 Sechser auf 50 oder 70 Würfe.

Tags:
EBV, Epstein-Barr-Virus


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