Glück tut nicht weh! (Straßencafé)

Boggy, Donnerstag, 16.09.2021, 14:01 (vor 925 Tagen)

WW bezieht sich in einem thread auf Erich Kästners Gedicht „Der Mai“, dabei u.a. auf die Zeilen:

„Melancholie und Freude sind wohl Schwestern.
Und aus den Zweigen fällt verblühter Schnee.
Mit jedem Pulsschlag wird aus Heute Gestern.
Auch Glück kann weh tun. Auch der Mai tut weh.“

Das muß ich unbedingt zum Anlaß nehmen, Herrn Kästner hier zu widersprechen.

Glück kann nicht weh tun!
Glück macht glücklich.
Der Verlust von Glück allerdings KANN weh tun. Das Vergehen von Glück KANN weh tun. Das ist aber was anderes. Wir sollten hier genau sein.

Die Unbeständigkeit der Welt ist eine Tatsache. Daß alles, das entsteht, auch wieder vergeht, ebenfalls. Es macht Sinn, sich dessen bewußt zu bleiben.

Aber die Tatsache, daß alles vergeht – auch Glück – sollte uns nicht daran hindern, das Glück zu genießen, solange es da ist. Lassen wir uns es ganz und gar erleben. Gönnen wir uns diesen Moment, diese Momente.

Trüben wir uns das gegenwärtige Glück nicht dadurch, daß wir uns Vorstellungen vom Vergehen des Glücks in der Zukunft – egal ob morgen oder in einer Woche – in die glückliche Gegenwart holen, indem wir uns in diese Vorstellungen (!) des Vergehens verlieren, das noch gar nicht wirklich ist, noch gar nicht da ist.

Es ist Teil meiner Meditationspraxis, mir möglichst oft bewußt zu machen, wann ich beunruhigende, oder bedrohliche Vorstellungen, die sich auf zukünftige eventuell oder tatsächlich beunruhigende oder bedrohliche Ereignisse beziehen, in meine Gegenwart hole, obwohl (!) die Gegenwart nicht beunruhigend oder bedrohlich ist.

Dadurch erzeuge ich jetzt unnötigerweise eine angespannte, beunruhigte oder bedrohte Verfassung in mir, in meinem Organismus. Denn JETZT kann ich friedlich auf dem Sofa sitzen (o.ä.), nichts Gefährliches ist da, nichts, das mich ängstlich machen könnte.

Das bedeutet nicht, daß die Ereignisse in der Zukunft, an die ich denke, nicht tatsächlich bedrohlich sein können, daß sie mir DANN vielleicht Angst machen, oder auf andere Weise sehr schwer sein können. Das mag DANN tatsächlich so sein. DANN werde ich damit einen Weg finden müssen. Falls ich nicht JETZT etwas tun kann, z.B. im Sinne einer hilfreichen Vorbereitung.

Alles andere ist Zukunft; und die Zukunft existiert nicht, nicht JETZT. JETZT ist anders. Alles, was JETZT existiert, sind u.U. die VORSTELLUNGEN, die ich in meinen Geist/mein Bewußtsein hole, und die mir ein friedliches JETZT unnötig mit Anspannungen trüben, was meiner Gesundheit nicht unbedingt förderlich ist.
Mein kleines Hilfs-„Mantra“ in so einer Situation lautet: „JA – aber nicht JETZT!“

Denjenigen, die meditieren, sage ich wohl nichts Neues; aber anderen vielleicht doch …
Deshalb wollte ich es nicht ungesagt lassen.

Gruß
Boggy

P.S. Damit es keine Mißverständnisse gibt noch einmal: JETZT über vor mir liegende, eventuell schwierige und/oder bedrohliche Aufgaben nachzudenken oder sinnvolle Pläne zu entwickeln, damit alles leichter wird usw., ist nicht gemeint. Das sind sinnvolle und wichtige Aktivitäten in der Gegenwart. Vorbereitung JETZT; und dann ist die Vorbereitung abgeschlossen.

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Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.


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