Ist das Epstein-Barr-Virus die Ursache der MS? (Allgemeines)

W.W. @, Mittwoch, 19.01.2022, 16:28 (vor 799 Tagen) @ W.W.

Um zu Potte zu kommen, habe ich das, was wir hier diskutiert haben, aus meiner Sicht zusammengefasst, wobei ich dankbar wäre, wenn man mich auf Fehler und Unklarheiten aufmerksam machen würde. Auch stilistisch lässt das, was ich geschrieben habe, leider nur viele Wünsche offen!:-(

Ist das Epstein-Barr-Virus die Ursache der MS?
Im Januar diesen Jahres erschien in SCIENCE eine aufsehenerregende Studie mit dem Titel: ‚Epstein-Barr virus and multiple sclerosis’. Der Autor war Alberto Ascherio und sie legte nahe, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spräche, dass das Epstein-Barr-Virus (EBV) die Ursache der MS sei. Dem schlossen sich einige MS-Forscher an, die meinten, damit sei ein jahrzehntelanger Traum von MS-Betroffenen in Erfüllung getreten. Wenn man z.B. durch eine Impfung verhindern könne, sich mit EBV zu infizieren, dann könnte man die MS nahezu ausgerotten. Aber es gibt auch viele MS-Betroffene, die skeptisch sind und deren Begeisterung sich in Grenzen hält.

Die Studie
Zunächst ging es eigentlich um das HIV: Etwa 10 Millionen junge Mitglieder der US-Armee wurden von 1993 bis 2013 alle 2 Jahre auf Antikörper gegen das HIV untersucht. Bei 955 wurde während ihrer Dienstzeit MS diagnostiziert. Da die Blutproben aufbewahrt wurden, konnten diese im Nachhinein auch auf Antikörper gegen andere Viren untersucht werden. Dabei ergab sich, dass bei 800 von 801 Antikörper gegen EBV gefunden wurden.

Das war mit 99,88% eine erstaunlich hohe Korrelation, die für andere häufige Viren nicht zu finden war. Es wurde eine zweite Untersuchung angeschlossen: Bei 35 Patienten mit MS konnten zunächst keine Antikörper gegen EBV nachgewiesen werden, d.h. sie waren zum Zeitpunkt der ersten Blutprobe noch nicht infiziert. Von diesen infizierten sich jedoch 34 vor dem Ausbruch der MS mit dem EBV und entwickelten Antikörper.

Daraus schlossen die Autoren, dass es praktisch keinen MS-Betroffenen gäbe, der nicht Antikörper gegen das EBV hätte.

Einwände
Natürlich gibt es Einwände: Je größer eine Studie, desto mehr Fallstricke findet man in ihnen, und letztendlich findet immer eine Ungereimtheit. Gerade die ‚alten Hasen’ denken, es seien schon so viele Säue durch das Dorf getrieben worden, dass größte Vorsicht vonnöten sei.

1. EBV ist häufig, aber MS ist selten!
Der Haupteinwand ist, dass so viele Menschen mit dem EBV infiziert seien, aber nur so wenige an MS erkrankten: etwa 95% der Bevölkerung in Deutschland haben Antikörper gegen das EBV, aber nur 1-2 Promille haben MS.

Auch wenn andere häufige Viren (wie z.B. das Cytomegalie-Virus) natürlich auch häufig bei der MS gefunden werden, war das 99,88%ige Vorkommen bei der MS verblüffend. Die Autoren errechneten, das Virus erhöhe das Risiko, an MS zu erkranken, um das 32fache, was in etwa dem Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs entspricht.

2. Von 955 MS-Betroffenen wurden nur 801 untersucht.
Es wurden nur die MS-Fälle berücksichtigt, die während der aktiven Militärzeit diagnostiziert wurden, und das waren 801.

3. Wenn von 801 Erkrankten nur 800 EBV-Antikörper hatten, heißt das nicht, dass man in Einzelfällen auch eine MS bekommen kann, ohne vorher mit EBV infiziert worden zu sein?
Ich kann nur vermuten, dass es sein könnte, dass bei dem einen zwar eine MS diagnostiziert wurde, er aber keine MS hatte, sondern ein Krankheitsbild, das einer wirklichen MS täuschend ähnlich war.

4. Von 35 MS-Patienten konnte nur bei 34 nachgewiesen werden, dass sie vor Erkrankungsbeginn der MS mit EBV infiziert worden waren.
Ich denke, die Zahlen sprechen für sich. Sie zeigen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass es keine MS gibt, ohne zuvor mit EBV infiziert worden zu sein, andererseits weisen sie darauf hin, dass das EBV nur eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung für eine MS ist.

Auch wenn die EBV-Infektion eine notwendige Voraussetzung dafür ist, an MS zu erkranken, ist sie ganz sicher nicht ausreichend. Es müssen also gewichtige Co-Faktoren hinzukommen.

5. Ist die Häufigkeit des EBV nur eine Korrelation und keine Ursache?
Wenn es nur eine Korrelation wäre, dann müsste wenigstens ein paar Leute mehr geben, die sich mit EBV erst NACH MS-Beginn infizieren, da MS teils schon bei Kindern und in den meisten Fällen zwischen 20 und 40 beginnt.

6. Ist eine EBV-Infektion vielleicht nur ein ‚Risikofaktor’, um eine MS zu bekommen?
Z.B. ist die Genvariante HLA-DR15 ein ‚Risikofaktor’ für die MS. Aber wenn sie das MS-Risiko um das Dreifache steigert, war es im Fall von EBV-Antikörpern um den Faktor 32 erhöht. Das ist ein starkes Argument dafür, dass eine EBV-Infektion nicht eine von vielen Risikofaktoren ist, sondern die entscheidende.

(Fortsetzung folgt)


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