Kritk populärer Epigenetik-Vorstellungen (Allgemeines)

Boggy, Samstag, 06.01.2024, 14:54 (vor 112 Tagen)

Bei meinen kleinen Recherchen zum Long-Covid-Problem, angeregt durch Michaels Beiträge, bin ich auch auf einen - aus meiner Sicht wichtigen Artikel - zur Kritik populärer (falscher) Vorstellungen über Epigenetik allgemein gestoßen, den ich der verehrten Leserschaft auch nicht vorenthalten möchte.

Quelle =>
https://www.peter-spork.de/files/newsletter-epigenetik-2022-36-aug.pdf

Peter Spork: newsletter epigenetik 36 | august 2022
S. 6

Kritik an Sicht auf Epigenetik

Bernhard Horsthemke: A critical appraisal of clinical
epigenetics. Clinical Epigenetics 14, 28.07.2022, Nr. 95.

Es sei ein Missverständnis, dass epigenetische Modifikationen des Chromatin genannten Gemischs aus DNA und angelagerten Proteinen eine eigene, unabhängige Ebene der Genregulation seien, schreibt der Epigenetiker Bernhard Horsthemke von der Universität Duisburg-Essen in einem Beitrag für das Fachblatt Clinical Epigenetics.

Weder steuere das Epigenom die Genaktivität einer Zelle direkt, noch werde es in der Regel direkt durch äußere Einflüsse verändert.
(...) „Somit spiegeln Veränderungen in den Chromatinmodifikationen eher Veränderungen in der Genexpression wider, als dass sie diese verursachen“, folgert Horsthemke, der seit den 1980er Jahren im Gebiet forscht. (...)
Hätten Eltern und ihre Nachkommen das gleiche Epigenom, sei das oft eine Folge der genetischen Vererbung und kein Hinweis auf die Existenz einer generationsüberschreitenden epigenetischen Vererbung.

Anders als bei vielen Tierversuchen gebe es beim Menschen bislang nur wenige eindeutige Hinweise, dass Umwelteinflüsse das Epigenom von Zellen direkt verändern würden, und dass solche Veränderungen zudem an Nachkommen weitergegeben werden könnten. (...)
Zudem wiesen viele Studien methodische Schwächen auf: (...)
Popularisierende Formulierungen wie „Wir können unsere Gene kontrollieren“ oder „Du bist, was deine Eltern gegessen haben“ hätten deshalb in Fachpublikationen nichts verloren. Man brauche eine präzisere Definition der Epigenetik und solle zu den Fakten der Molekular- und Zellbiologie zurückkehren."

Und hier die Originalpublikation:

A critical appraisal of clinical epigenetics, Bernhard Horsthemke, Clinical Epigenetics volume 14, Article number: 95 (2022)

https://clinicalepigeneticsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13148-022-01315-6

"Die moderne Epigenetik ist vor etwa 40 Jahren entstanden. Seitdem hat sich dieses Gebiet rasch entwickelt. Leider wurde diese Entwicklung von bestimmten falschen Vorstellungen und methodischen Unzulänglichkeiten begleitet. Ein grundlegendes Missverständnis besteht darin, dass Chromatinveränderungen eine eigene Ebene der Genregulation darstellen, die direkt auf die Umwelt reagiert und potenziell zwischen den Generationen vererbbar ist.
(...)
Trotz der oben erörterten Probleme gibt es viele solide Beweise dafür, dass epigenetische Defekte zu menschlichen Krankheiten beitragen."

Gruß
Boggy

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Um unserer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit willen müssen wir immer wieder die Saat des kritischen Verstandes und des begründeten Zweifels säen.

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Vorstellungen & Wiedersprüche

agno @, Samstag, 06.01.2024, 21:21 (vor 112 Tagen) @ Boggy

Hi Boggy
Vor 20 Jahren hatte ich das Gefühl dass sich Wahrheit dann zeigt, wenn hart & sachlich gestritten wird.
Heute genieße ich einen der großen Vorzüge des reiferen Alters, sitze im Kino hinten auf dem Luxuspolster & beobachte freundlich, ohne immer einen Standpunkt einnehmen müssen. :-D

Das System der Epigenetik erklärt für mich einiges, was für mich sonst unerklärbar ist, aber oft nicht das womit mir Epigenetik erklärt wird.
Eventuell glaubt jemand dass meine Augenbrauen zucken und dazu ansetzen nach oben.... :-) Das wäre ein ungewohnt wohliges Gefühl, als Zuhörer ernst genommen zu werden.
Streiten und argumentieren ist die Aufgabe der Anderen. angel smile Schön, wenn sie das tun.

https://www.spektrum.de/news/determinismus-ist-wegen-der-quantenmechanik-alles-vorherbe...
Zitat: "Die Vorhersage- und Erklärungskraft wurde in der Physik weithin geschätzt. In anderen Fächern, darunter der Philosophie, gingen die Meinungen eher auseinander. Nicht zuletzt lag das an der Tatsache, dass damit der freie Wille des Menschen ausgeschlossen scheint: Wenn die Gesetze der Physik deterministisch und unsere Handlungen nur die Summe von Teilcheninteraktionen sind, scheint es keinen Raum dafür zu geben, uns frei für Option A statt für Option B zu entscheiden."
Ich muss mich nicht entscheiden :-D :herzle: Das Leben ist schön. Und dazu noch nichteinmal langweilig. Nichteinmal da kann ich mich entscheiden, ob mir das zum Vorteil gereicht.

agno

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Weiß nicht, woher ich komm, weiß nicht, wie lang ich bleib, weiß nicht, wohin ich geh, mich wundert, dass ich glücklich bin ...

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